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vom: 09.03.2017
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
BAnz AT 21.03.2017 B1
Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz
Richtlinie
über die Förderung von
Vorhaben zur verbraucherbezogenen Forschung
über den „Wandel der Verbraucherrollen – Prosuming, kollaborativer Konsum, Ko-Produktion
etc.“
im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung
im Verbraucherschutz in Recht und Wirtschaft
1 Zuwendungszweck und Rechtsgrundlagen
Die Verbraucherrolle lässt sich nicht (mehr) auf einen passiven Konsum reduzieren. Die traditionelle Konsumentenrolle, die sich vornehmlich im Kaufakt und im anschließenden Verbrauch widerspiegelte, hat sich längst erweitert. Verbraucherinnen und Verbraucher sind mehr als Kundinnen und Kunden. Es haben sich neue Erscheinungsformen herausgebildet, die von der Mitgestaltung bei der Produktentwicklung (Ko-Produktion), über die eigene Herstellung bis hin zu Phänomenen der gemeinsamen Nutzung, des „urban gardening“ und Repaircafés reichen. Diesen Phänomenen ist gemeinsam, dass sie die tradierte Trennung zwischen Konsumtion (Verbrauch) und Produktion (Unternehmertum) überwinden. Es findet folglich eine Entgrenzung der Verbraucherrolle statt und es bilden sich hybride Nutzer- bzw. Produzentenrollen heraus.
Mit dem Begriff des „Prosuming“ hat Alvin Toffler („The Third Wave. The Classic Study of Tomorrow“) im Jahr 1980 einen Begriff geprägt, der die Entgrenzung der Verbraucherrolle beschreibt. Gemeint ist damit die Verschmelzung von Konsumenten- und Produzentenrolle durch eine Beteiligung der Verbraucher an der Herstellung von Sach- und Dienstleistungen, die nicht allein der Eigennutzung dienen.
Inzwischen haben sich die Erscheinungsformen weiter ausdifferenziert. Während das Prosuming zunächst von Unternehmen bestimmt wurde (z. B. Formen der Selbstbedienung), werden die Konsumenten zunehmend aktiv einbezogen, was bis zu einer Art Wertschöpfungspartnerschaft reichen kann. Verbraucher sind zum Beispiel im Energiebereich über eigene Solaranlagen nicht nur Energienutzer, sondern werden gleichzeitig auch zu Energieerzeugern.
Verbraucher werden aktiv an der Entwicklung von Produkten beteiligt, sei es bei der Software-Entwicklung (z. B. Mozilla/Firefox) oder durch den gemeinschaftlichen Aufbau von Wissen in der Datenbank Wikipedia. In offenen Werkstätten, sogenannten FabLabs, werden Verbraucher zu Produktdesignern und Herstellern. Sie schließen sich in sogenannten „Brand-Communities“ (Markengemeinden) zusammen, um z. B. gemeinsam Oldtimer zu restaurieren und erhalten damit eine spezifische Identität. Verbraucher werden in der Sharing Economy zu gemeinsamen Nutzern von Produkten und sind z. B. bei Tausch- und Weiterverkaufsplattformen gleichzeitig auch Anbieter (kollaborativer Konsum). Sie übernehmen bisweilen sogar die Rolle von Banken im Kreditwesen, wenn sie durch Crowdinvestment dazu beitragen, dass Start-Ups ihre Unternehmensidee umsetzen können.
Das veränderte Verhältnis von Konsumtion und Produktion hat zahlreiche soziale Implikationen. Auf der einen Seite kann die Einbindung von Verbrauchern in den Herstellungsprozess zur Demokratisierung von Produktionsprozessen führen. Auf der anderen Seite ist anzunehmen, dass nicht jede Verbraucherin/jeder Verbraucher aufgrund unterschiedlicher Ressourcen (u.a. Bildung, Zeit) über gleiche Möglichkeiten zur Teilhabe als Prosument/Ko-Nutzer/Ko-Designer etc. verfügt. Wer also beteiligt sich aus welchen Motiven? Wo liegen Grenzen der Teilhabe? Wie lassen sich Potenziale erschließen und welche Voraussetzungen können geschaffen werden, um sozialen und partizipativen Konsum zu stärken. Wie lässt sich z. B. nachhaltiger Konsum, d. h. ein anzustrebendes Wirtschaftssystem, in dem die Bedürfnisbefriedigung den Belangen der Nachhaltigkeit nicht widerspricht, etablieren?
Wenn Konsumenten- und Produzentenrollen diffundieren, hat dies Auswirkungen auf das Verhältnis von Wirtschaft und Verbrauchern. Unternehmen mögen einerseits für die Produktentwicklung auf Innovationsimpulse aus den Reihen der späteren Konsumenten angewiesen sein. Die Marktmacht von Konsumenten und mithin die Konsumentensouveränität würden demnach gestärkt. Andererseits muss die Einbeziehung von Verbrauchern in die Wertschöpfung nicht gleichbedeutend mit einer Enthierarchisierung sein. Beteiligung kann auch als Marketingmaßnahme durch Unternehmen erfolgen oder sogar in Formen der instrumentalisierten Ausbeutung münden, bei der die Rendite letztlich den Unternehmern zufällt. So ist beispielsweise eine Auslagerung von Serviceleistungen von Unternehmen an Verbraucher zu beobachten (z. B. durch Geldautomaten oder Online-Banking, Selbstbedienungskassen oder den Wegfall von Check-in-Schaltern zugunsten von Automaten an Flughäfen). Für Verbraucher, die diese Leistungen nicht selbst erbringen möchten oder nicht erbringen können, wird ehemals kostenfreier Service nun gebührenpflichtig – mit sozialen Rückwirkungen.
Die Digitalisierung bringt noch einmal ganz spezielle Auswirkungen auf Verbraucherrollen mit sich. Neue technische Möglichkeiten führen auch zu neuen Beteiligungsmöglichkeiten von Verbrauchern. So kann z. B. die Einführung von 3-D-Druckern im Konsumentenmarkt eine Ausweitung der individualisierten Herstellung bedeuten. Im Rahmen von „Virtual Reality“ entstehen völlig neue Erlebnis- und Kreativräume für Verbraucher, die auch das Verbraucherhandeln neu definieren.
Verbraucher werden mit Produkten umgehen, die sich durch lernende Algorithmen weiterentwickeln oder über Formen der künstlichen Intelligenz verfügen. Integrierte Feedback-Schleifen führen (z. B. beim Internet der Dinge oder bei Spracherkennungssoftware) zu laufender Anpassung von Produkten und Dienstleistungen. Verbraucher haben an dieser insofern Anteil, als dass die Weiterentwicklung letztlich auf der obligatorischen Auswertung von Verbraucherverhalten/Verbraucherdaten fußt. In diesen Fällen besteht somit ein faktischer Zwang zum „Prosuming“. Im besten Fall führt dies zu einer besseren Bedürfnisbefriedigung von Verbrauchern. Es kann aber auch zu Fremdsteuerung und Handlungsunfähigkeit von Nutzern kommen, da den Möglichkeiten der intentionalen Beeinflussung dieser Entwicklung durch Verbraucher häufig enge Grenzen gesetzt sind.
Es entstehen somit neue hybride Formen des Verbraucherdaseins. Es bedarf daher einer Erweiterung der theoretischen Perspektive, der Analysemethoden und der verbraucherpolitischen Instrumente, um diese Veränderungen adäquat beschreiben, auswerten und im Hinblick auf ihre Konsequenzen für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Verbraucherpolitik erfassen zu können.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) beabsichtigt, entsprechende Vorhaben auf Grundlage seines Programms zur Innovationsförderung im Verbraucherschutz in Recht und Wirtschaft zu fördern.
Vorhaben können durch Zuwendungen nach Maßgabe dieser Richtlinie, des Programms zur Innovationsförderung im Verbraucherschutz in Recht und Wirtschaft, der Standardrichtlinien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) einschließlich Nebenbestimmungen für Zuwendungen auf Ausgaben- bzw. Kostenbasis und der §§ 23 und 44 der Bundeshaushaltsordnung samt Verwaltungsvorschriften gefördert werden.
Ein Rechtsanspruch auf Gewährung einer Zuwendung besteht nicht. Der Zuwendungsgeber entscheidet aufgrund seines pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel.
Die eingereichten Projektvorschläge stehen miteinander im Wettbewerb.
2 Gegenstand der Förderung
Mit der vorliegenden Bekanntmachung sollen Vorhaben der verbraucherbezogenen Forschung über neuere Entwicklungen zum Verhältnis von Konsumtion und Produktion sowie der daraus folgenden Veränderungen der Verbraucher- und Konsumformen und -rollen („Prosuming“, kollaborativer Konsum, Ko-Produktion etc.) gefördert werden, wobei folgende Aspekte im Vordergrund stehen:
Theoretische Aspekte:
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Bestandsaufnahme und Klassifizierung von Konsummodellen und Konsumentenrollen;
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Erscheinungsformen des Prosuming, Ausdifferenzierung von Konsumentenrollen und Trendentwicklungen;
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Orientierungen, Normen und Motivlagen von Prosumenten/Ko-Konsumenten/Ko-Produzenten etc. (z. B. Gibt es übereinstimmende Einstellungs- und Motivmuster?);
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Folgen der Digitalisierung für die Verbraucherrollen und das „Prosuming“-Konzept.
Gesellschaftspolitisch/soziologische Aspekte:
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Potenziale und Chancen, z. B. für nachhaltigen Konsum, Demokratisierung, Empowerment;
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Zugangschancen, Zugangsbarrieren, Formen der Teilhabe bzw. Ausgrenzung von Verbrauchergruppen (z. B. Wer beteiligt sich? Wo liegen Grenzen?);
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Berücksichtigung der verschiedenen Lebenslagen von Verbraucherinnen und Verbrauchern;
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Möglichkeiten der Förderung und Erschließung von Potenzialen (z. B. Anforderungen an die Verbraucherbildung);
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Interaktions- und Hierarchieverhältnisse (zwischen Verbrauchergruppen bzw. zwischen Verbrauchern und Unternehmen);
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neue Formen sozialer/politischer Konsumentenaktivität (z. B. Flashmobs, Carrotmobs, Buykott).
Ökonomisch-soziale Aspekte:
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Veränderungen der Produkt- und Dienstleistungswelt durch Verschmelzung von Produzenten- und Konsumentenrollen (z. B. Innovationspotenziale);
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Verhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmen (strukturelle Asymmetrien);
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Spannungsverhältnis zwischen gesteigerter Bedürfnisbefriedigung für Verbraucher und Instrumentalisierungstendenzen durch Unternehmen;
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identifizierbare Zwänge zum „Prosuming“ durch Auslagerung von Serviceleistungen oder obligatorisch eingebaute Feedback-Systeme (z. B. lernende Algorithmen) und deren Folgen.
Verbraucherpolitische Aspekte:
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Konsequenzen und Herausforderungen für die Verbraucher(schutz)politik;
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Maßnahmen und Instrumente für die verbraucherpolitische Entwicklungsunterstützung (z. B. durch Anreizsysteme oder Verbraucherinformationen);
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Rahmungsmöglichkeiten und Regulationserfordernisse (z. B. Gewährleistungsrecht und Haftungsfragen beim Weiterverkauf, Urheberrecht bei der Weiterentwicklung von Produkten, Marktüberwachung, Qualitätssicherung);
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Stärkung der Selbstbestimmung von Verbraucherinnen und Verbrauchern;
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Anforderungen an das Verbraucherrecht (z. B. Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Anpassung von Rechtsnormen).
3 Zuwendungsempfänger und -voraussetzungen
Antragsberechtigt sind Hochschulen und außeruniversitäre Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen.
4 Art, Umfang und Höhe der Zuwendung
Die Zuwendungen können im Wege der Projektförderung als nicht rückzahlbare Zuschüsse gewährt werden. Gefördert werden können Projekte unterschiedlicher Größenordnung, wobei die maximale Fördersumme pro Projekt, unabhängig davon ob es sich um ein Einzel- oder ein Verbundprojekt handelt, bis zu 150 000 Euro beträgt.
Die Bemessung der jeweiligen Förderquote richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. L 187 vom 26.6.2014, S. 1).
5 Sonstige Zuwendungsbestimmungen
Bestandteil eines Zuwendungsbescheids auf Kostenbasis werden grundsätzlich die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen auf Kostenbasis des BMBF an Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben (NKBF 98).
Bestandteil eines Zuwendungsbescheids auf Ausgabenbasis werden die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P) und die Besonderen Nebenbestimmungen für Zuwendungen des BMBF zur Projektförderung auf Ausgabenbasis (BNBest-BMBF 98).
6 Verfahren
6.1 Projektträger
Mit der Umsetzung dieser Fördermaßnahme hat das BMJV die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung als Projektträger beauftragt.
Postadresse:
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
Projektträger ptble – Innovationsförderung
53168 Bonn
Hausanschrift:
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
Projektträger ptble – Innovationsförderung
Deichmanns Aue 29
53179 Bonn
Ansprechpartner:
Stephan Sanders
E-Mail: innovation@ble.de
6.2 Vorlage von Förderanträgen
In Abweichung von Nummer 7.2.1 (Call-Verfahren) des Programms zur Innovationsförderung im Verbraucherschutz in Recht und Wirtschaft erfolgt das Verfahren in einem einstufigen Verfahren.
Um eine hohe Qualität sowie eine effiziente Umsetzung der geförderten Vorhaben zu gewährleisten, wird die Förderwürdigkeit im wettbewerblichen Verfahren auf der Grundlage von Förderanträgen beurteilt.
In den Förderanträgen sollen auch Folgenabschätzungen im Hinblick auf die angestrebten Erkenntnisgewinne bzw. Projektergebnisse aufgeführt werden.
Das Einreichen der Förderanträge erfolgt ausschließlich über das Internet-Portal
Dort stehen weitere Informationen und Hinweise zum Verfahren und zu den einzureichenden Unterlagen zur Verfügung.
Die Anträge sind in deutscher Sprache abzufassen.
Der unterschriebene Ausdruck der online erstellten Antragsunterlagen ist beim Projektträger auf dem Postweg (nicht per Telefax oder E-Mail) bis
12. Mai 2017, 12.00 Uhr, |
einzureichen (Eingang bei der BLE).
Aus der Vorlage eines Förderantrags kann kein Rechtsanspruch abgeleitet werden.
Es wird empfohlen, vor der Einreichung des Förderantrags mit dem Projektträger Kontakt aufzunehmen.
6.3 Auswahl- und Entscheidungsverfahren
Die eingegangenen Förderanträge werden nach Ablauf der Vorlagefrist nach den Vorgaben des Programms vom Projektträger insbesondere nach folgenden Kriterien geprüft:
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Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Zuwendungsempfängers, vorhandene Vorleistungen/Ressourcen,
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wissenschaftliche Qualität und Erfolgsaussichten des Vorhabens,
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Innovationsgrad und Plausibilität des Ansatzes,
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verbraucherpolitische Bedeutung, Erhöhung der Innovationskraft,
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Übernahme neuer Ergebnisse aus der Wissenschaft,
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hohe Praxisrelevanz.
Das BMJV und der Projektträger behalten sich vor, bei der Bewertung der vorgelegten Förderanträge Experten hinzuzuziehen.
Entsprechend der oben angegebenen Kriterien und Bewertung wird nach abschließender Antragsprüfung über eine Förderung auf der Basis der verfügbaren Haushaltsmittel vom BMJV entschieden. Der Projektträger informiert die Antragsteller über das Ergebnis.
7 Inkrafttreten
Die Förderrichtlinie tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.
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